Eiche

Ich grüsse Dich, Eiche.

Sieh` ich bringe Dir Rauch. Du hast das gern, ich weiss es. Du hast es mir gesagt. Ich bringe Dir die Klänge meiner Trommel, meiner Rassel. Du kennst sie. Du hast es mir gesagt.

Es tut mir leid, was Dir angetan wurde. In der Jugend Deines Lebens haben sie Dich umgehauen. Aus tausenden Samen wurdest Du vor zweihundert Jahren bestimmt zu wachsen. An diesem Ort. Im Schoss von Mutter Erde hast Du gekeimt. Deine feinen Wuzeln haben ihren Weg im Erdreich gesucht. Gelenkt und genährt von der ewigen Lebenskraft. Die Kräfte des Himmels haben Dich in die Höhe gezogen. Umsorgt und behütet von Deinen Verwandten bist Du herangewachsen. Alles war still und gut um Dich herum. Lange Zeit. Sonne, Regen und Sturm haben Dich stark gemacht. Als Du grösser wurdest hast Du in der Ferne ein paar Häuser gesehen. Menschen haben gepflügt, mit Pferden und Ochsen. Du hast Deine Bestimmung gelebt, viele Jahre lang. Unzähligen Tieren, gross und klein, hast Du Nahrung gegeben und Schutz gewährt. Vögel und Eichhörnchen haben Ihre Nester und Kobel gebaut in Deinen Ästen. Rehe und Hirsche, Füchse und Wildschweine haben unter Deiner Krone Schatten gefunden. In den Mastjahren haben Menschen Deine Früchte gesammelt. Dein Laub war Ihnen dienlich. Du hast Sauerstoff gemacht, damit wir atmen können. Deine Wurzeln haben das Erdreich zusammengehalten. Du hast Wasser gespeichert, hast Deinen Teil getan damit es im Sommer nicht zu heiss wird. Insekten ohne Zahl hast Du die Lebensgrundlage gegeben. Ich danke Dir dafür.

 Das Dorf in der ferne wurde immer grösser und grösser. Deine Verwandten wurden hingemacht. Einer um den Andern. Die Menschen kamen immer näher und näher. Von allen Seiten wurdest Du bedrängt, wir brauchen mehr Platz, haben sie gesagt. Und jetzt hat es auch Dich getroffen. Ein Schulhaus wurde neu gebaut. Du wirfst zuviel Schatten, haben sie gesagt. Ein Sturm könnte Dich umwerfen, ein Kind könnte verletzt oder gar getötet werden, haben sie gesagt. Man muss Euch verjüngen, haben sie gesagt. Wir werden Sträucher und neue Bäume pflanzen, haben sie gesagt. Wie blind ihr doch seid, hast Du gesagt… Ihre Kinder werden auf den Strassen getötet, von Maschinen, die ihre Eltern sie selbst gemacht haben. Das nehmen sie hin, da kann man nichts machen, sagen sie. Die Titanen aus Silicon Valley rauben Ihre Seelen. Sie geben sie mit Freuden her. Sie stöhnen unter der Last der Sommerhitze. Wir Pflanzen Sträucher, wir sind nachhaltig, sagen sie. Ihr seid blind, sagt ihr.

Du wirst Deine Arbeit noch Jahrzehnte fortführen. Verborgen, tief im Erdreich sind Deine Wurzeln noch immer verbunden mit dem Alleinigen. Du hast es mir gezeigt, liessest mich in Deine Tiefe blicken. Dein Stumpf wird noch da sein, wenn wir und unsere Kinder diese Erde längst verlassen haben.

Du hast mich getröstet. Ich danke Dir dafür.