Camargue (F) ende Oktober. Ein Herbststurm zieht über das Land. Seit fünf Tagen und Nächten rüttelt und zerrt der Wind an unserem kleinen Häuschen auf dem Campingplatz.
Das Meer ist aufgewühlt und die Wogen brechen meterhoch mit lautem Brüllen an der Küste. Mit guter Laune sind wir täglich unterwegs und geniessen die wundervollen Stimmungsbilder, die der Wettergott in den Himmel zeichnet. Es ist eine reinigende Zeit für Körper und Geist. Der Sturm trägt so manches mit sich fort und es scheint, dass auch das Meer den Zivilisationsdreck von einem langen Sommer purgiert, an den Strand zurückwirft.
Endlich, an einem Sonntag, klart der Himmel auf und wir ziehen in Richtung Étang Dit l`Impérial. Wir wollen den Ortsgeist dieser schier endlosen Weite aufsuchen. Dafür mussten wir das Städtchen Stes Maries de la Mer durchqueren und auf der anderen Seite weiter dem Strand entlang gehen. Das schien anfangs gar keine gute Idee zu sein, denn das schöne Wetter lockte unzählige Menschen zum Spaziergang. Auf dem Fussweg am Strand entlang war kaum ein Durchkommen. Velos und Pferde, Wanderer, Jogger, Fischer, alle Welt schien sich auf diesem Strandabschnitt zu versammeln. Dementsprechend waren wir frustriert und sogar verärgert. Vor allem über uns selbst, weil nach einer Woche Sturm wohl nichts anderes zu erwarten war und wir mit allen anderen der Herde „Bäääh“ machten. Einmal mehr…
Was also tun? Nichts anderes, was wir ebenfalls schon oft getan haben und immer öfter tun. Wir gehen einfach weiter bis die anderen schlapp machen. Und siehe da! Es dauerte nur ein paar Kilometerchen und wir waren allein auf weiter Flur. Und da fand ich ihn. Oder er mich? Einen Gegenstand, den ich suchte und den ich für bestimmte Tätigkeiten brauchen wollte. Er lag einfach da am Strand, unscheinbar inmitten von Plastikflaschen und Badeschlappen. Er schien aus all dem Müll herauszuleuchten und zu sagen: „Hier bin ich, nimm mich mit!“ Ich freute mich riesig darüber und steckte ihn in meine Hosentasche. Mit dem festen Vorsatz zur rechten Zeit am rechten Ort, um Erlaubnis zu fragen. Die Zeiten sind zum Glück längst vorbei, wo wir Eimerweise Sand und Muscheln nach Hause schleppten oder bei jeder Wanderung die Rucksäcke mit Steinen und Wurzeln füllten, weil wir das Gefühl hatten alles besitzen zu müssen. Man kann ja alle die schönen Dinge am Wegrand einfach anschauen, bei ihnen verweilen, sie in die Hände nehmen und betrachten. Dann legt man sie wieder an ihren Ort zurück. Weil sie nicht zufällig dort sind und alle Dinge ihren Platz haben, alles seine Ordnung hat. Manch einer hat sich gedankenlos Kräfte ins Haus geholt die er sich nicht wünschte… Das ist unsere Überzeugung, andere haben eine andere.
So bogen wir also bald einmal vom Strand ab und wanderten tief hinein in den ausgetrockneten Etang. Der immer noch starke Wind liess den Staub in kleinen Hurrikans über die Ebene tanzen und wir taten es ihnen gleich, liessen uns treiben, bis wir spürten das wir am richtigen Ort für unsere Puja angekommen waren.
Wie üblich leiteten wir das kleine Fest mit Rauch, Rassel, Trommel und Gesang ein. Als es stimmig zu sein schien, entfernte ich mich langsam weiter in die Ebene hinein um mit dem Geist, der Kraft des Ortes in Kontakt zu treten, sofern er es zulassen wollte. Und er wollte!
Die Ur-Kraft der Trommel durchdrang meinen Körper, floss durch mich hindurch in die tiefsten Tiefen dieses Ortes und lockte die Wesenheit in meine bescheidene, oft so verkümmerte Wahrnehmung. Es erschien eine Wesenheit von unbeschreiblicher Schönheit. Viele Meter wuchs sie empor, in schillernden Regenbogenfarben, Fische sprangen, klares Wasser floss daraus hervor, Wasserpflanzen wuchsen, etwas wie ein Gesicht trat hervor. Gütig, freundlich, alt, weise, und ich durfte meine Fragen stellen: Wer bist du? Für was stehst Du? Was machst Du hier? Darf ich den gefundenen Gegenstand behalten?
Die Zwiesprache und die Erscheinung beschreibe ich hier nicht näher. Zum einen, weil mir der sprachliche Ausdruck fehlt, zum anderen getreu meinem Motto die Dinge nicht zerreden zu wollen. Nur so viel noch; Ich durfte den Gegenstand nicht nur behalten, ich sollte sogar. Und ich soll ihn gebrauchen. Und als ob diese Begegnung in ihrer Intensität nicht schon Geschenk genug war, durfte ich Sie noch sehen: Wie üblich nach einer Schamanischen Reise wende ich mich den vier Himmelsrichtungen zu und bedanke mich. Als ich mich gegen Süden wandte, hatte ich die Sonne voll im Gesicht und plötzlich sah ich eine Frauengestalt. Riesig gross, etwa zwanzig Meter über dem Erdboden. „Wer bist Du?“, fragte ich. „Du weisst es.“, erhalte ich zur Antwort. Ja, jetzt wusste ich es! Es war die heilige Dienerin Sara! Ich durfte ein paar Fragen stellen und dann verschwand sie. In einer Barke in Begleitung von drei anderen weiblichen Gestalten schwebte sie davon. Ihr Gesang hielt sich noch lange in meinen Gedanken. Jetzt wurde uns auch der Grund für die Menschenmenge im Städtchen klar. Es war ein heiliger Sonntag und es gab eine Prozession. Und alle kamen… Auch über diesen Inhalt des „Gesprächs“ berichte ich hier nicht.
Ich wurde einmal gefragt, warum ich immer allein auf den Fotos zu sehen bin. Der Grund dafür ist, dass ich hier nur meine Schamanische Tätigkeit zu beschreiben versuche, nicht weil „meine Fähigkeiten“ grösser wären als die von Susanna. Solche Schamanische Reisen unternimmt sie natürlich auch, dann bin ich im Hintergrund.
Überdies hält sie mit ihrer kraftvollen Trommel und ihrer Begabung den Raum, hilft und unterstützt wo nötig, hat also an einem guten Gelingen einen absolut gleichwertigen Anteil. Ebenso unser Hund. Er schläft nicht, sondern er reist tatsächlich. Er ist halb in der nichtalltäglichen Wirklichkeit und halb in der alltäglichen. An beiden Orten ist er Wächter und Türhüter. Das treue Tier hat mich mehr als einmal gewarnt, bei manchem Kampf geholfen. Ja, auch Kämpfe gibt es. Es können Aufgaben an einen herangetragen werden, die nicht nur nett und voller Liebe sind.




