Sprechende Steine Teil 1

Raunächte 2023/24. Es sind die magischen Tage und Nächte zwischen den Zeiten. Das Weltenrad steht still, das Alte ist vergangen und will gewürdigt werden, das Neue noch nicht da. Die Dinge werden neu geordnet, ausgerichtet, das Orakel des Schicksals wird neu geworfen. Wir begehen diese heilige Zeit wie immer in den letzten Jahren und führen an jedem von diesen zwölf Abenden ein kleines Ritual durch. Wir durchleben noch einmal die Höhen und Tiefen des letzten Jahres, formulieren Wünsche und Ziele und übergeben sie dem Feuer. Im Vertrauen, dass der Feuergeist – der Salamander – all dies transformiert und in die Unendlichkeit der Ausserzeitlichkeit trägt. Dort wo alles möglich und nichts fixiert ist, dort wo das unendliche Ja herrscht, das kreative Chaos. Auf diese Art sind wir „All – einig“, verbunden und einverstanden mit allem, was war, was ist und was kommen mag. Manchmal ist das eine harte Lebensschule. Dieses Jahr war diese Zeit besonders intensiv.

Unsere Wohnsituation hat sich dramatisch zugespitzt. Schon länger fühlten wir uns nicht mehr wohl. Innere und äussere Umstände trieben uns in schiere Verzweiflung. Hoffnung, Lebensfreude und Zuversicht schwanden mehr und mehr. Immer wieder suchten wir im Internet nach einer neuen Bleibe. Wir waren bereit überall hinzuziehen. Suchten im Wallis, im Jura, Richtung Freiburg, Schwarzenburgerland – nichts. Das Emmental schlossen wir aus, da wohnten wir ja schon einmal und es war nicht nur „heimelig“… Auf unseren Schamanischen Reisen fanden wir keine Antworten. Eines meiner Kraft/Schutztiere führte mich immer an den gleichen Ort. Er befand sich natürlich in der Ausserzeitlichkeit und doch glich es dem hohen Norden unserer Welt. Das Tier lag einfach ruhig da. In tiefer Dunkelheit, umtost von eisigen Schneestürmen. Manchmal zeichneten die Nordlichter ihre magischen Bilder an das Firmament und spiegelten sich in der Unendlichkeit der grossen, dunklen Augen. So verharrte es, kaute und kaute. „Ich zehre von den Reserven. Habe auch du Geduld.“

 So einfach war das aber nicht. Unser Leben fühlte sich an wie in einem Vakuum. Wie wenn sich etwas durch einen viel zu kleinen Flaschenhals quetschen wollte, durch einen Geburtskanal. Inzwischen hat der mächtige Freyr, der Eber mit den goldenen Borsten und den Hauern wie Messerklingen, das Weltenrad wieder angestossen. Langsam kamen die Dinge wieder in Fluss. Das konnten wir spüren. Nur bei uns schien sich nichts zu tun.  Auf einer meiner Schamanischen Reisen stand mein tierischer Verbündeter plötzlich auf. Am Himmel, über einem kahlen Felsengrat, erschien ein heller Silberstreifen. Mit seinem mächtigen Geweih warf mich das Tier auf seinen Rücken und wir trabten auf diesen Berg zu und bestiegen ihn. Oben angekommen standen wir im gleissenden Licht der aufgehenden Sonne. Mit unglaublichem Getöse tauchte sie aus dem fernen Horizont auf. Dort standen wir also. Umflutet von Licht, Klang, Wärme, Hoffnung.

Nur in unserer Mittwelt sah es noch immer ganz anders aus. Unterdessen wurde unser Kenan beinahe von einem Schäferhund zerfleischt, was uns emotional den Rest gab. Jetzt waren wir bereit überall hinzuziehen. Nur weg von hier. Wenn es denn sein muss, dann in den nächsten Wohnblock. Aber wir wussten beide, dass dies eigentlich gar keine Option war.

Eines Abends sass ich wieder „in meiner Ecke“ in der Wohnung und versuchte unseren Meilenstein zu meditieren. Er ist etwa acht Kilo Schwer und wir haben ihn vor Jahren von einem Spaziergang heimgenommen. Er wollte es so. Was soll man tun? 😊 Und er hat wahrlich schon Meilensteine in unseren Leben markiert.

Er zeigte mir ein Bild von einem grossen Raubvogel, ebenfalls ein Verbündeter von mir. In dieser Welt erscheint er oft als Milan. „Folge dem Vogel!!!“ Ja, aber wohin? „Folge dem Vogel!!!“ Er schien nach Westen zu deuten. Ja, super, dachte ich. Dort gibt es nichts für uns! Alles viel zu teuer. „Dann richte dich für deine Meditationen gefälligst so aus wie du es gelehrt wurdest!“ Aus Westen wurde Osten… Ich wusste auch ohne Landkarte welche Region in dieser Richtung liegt und wurde ziemlich unwillig. Trotzdem achtete ich auf meinen nächsten Spaziergängen im Bremgartenwald auf die Milane. Sie hatten mich noch nie enttäuscht. Im Winter gibt es dort nicht so viele. Aber einer war da. Ganz für mich, das wusste ich zutiefst. Er zog seine Kreise über mir, schrie und es schien, dass er auf sich aufmerksam machen wollte. Dann zog er weiter. Richtung Osten! Das Emmental….

Von da an ging alles Schlag auf Schlag. Noch am selben Abend haben wir im Internet ein Haus, das zur Vermietung ausgeschrieben war, gefunden. Oder hat das Haus uns gefunden? Am Telefon sagte uns die Besitzerin, wir hätten Glück gehabt, eigentlich wäre das Inserat schon nicht mehr im Netz, aber sie habe vergessen es rauszunehmen. Sie habe viele Interessenten, aber wir sollen doch auch noch kommen. Als wir am vereinbarten Termin den Weg zum „Studweidli“ hochfuhren, es war schon dämmrig, sagte Susanna zu mir: „Das ist es. Wir brauchen eigentlich gar nicht reinzugehen. Das Haus hat seine Arme ausgebreitet und heisst uns willkommen. Siehst du es?“ „Nein,“ erwiderte ich, „aber ich sehe einen Milan kreisen…“

 Manchmal ist zurück eben auch vorwärts, nur in die andere Richtung. Während ich dies schreibe, umgibt mich Frieden und Stille. Es schneit und ein schwacher Geruch von den Tieren im Stall dringt durch die Wände, mischt sich mit dem weichen, sanften knistern von brennendem Fichtenholz im Ofen. Kenan schläft auf seinem Platz. Wir sind alle heimgekommen, zurück zu unseren Wurzeln. Ins Land unserer Ahnen…