Es ist ein wunderschöner Vormittag im Bremgartenwald. Die Sonne schickt ihre wärmenden Strahlen aus dem stahlblauen Himmelszelt auf die Erde und erfreut die Schöpfung mit Lebenskraft.
Gerne jogge ich in diesen Stunden mit unserem Hund Kenan durch den Wald. Der Schweiss rinnt mir schon lange über die Stirne, während die Wärme Kenan noch längst nichts ausmacht. Fröhlich schnuppert er hier und dort, setzt pflichtbewusst seine Duftmarken ab. Der Schwanz ist aufgekringelt, die Ohren leicht nach aussen gestellt und die abgeknickten Spitzen wackeln mit der Zunge um die Wette. Alles ist Spiel und Vergnügen. So ist er; unser „Bubeli“, „Köterli“, „Kenani“ und was auch immer er für Kosenamen unsererseits über sich ergehen lassen muss.
Aber plötzlich geschieht die Verwandlung. Ohne sie bewusst zu wollen, oder zu suchen geschieht sie regelmässig. Unsere persönliche Song Line hat uns gefunden. Wir sind nicht mehr allein. Krafttiere begleiten uns. Wir fallen beide in den gleichen Schritt. Sein vorher noch witziges Wesen verändert sich. Sein Ringelschwanz wird zur Rute und senkt sich ab, die Ohren legen sich flach an den Kopf, der Fang leicht geöffnet, die Zunge fächelt rhythmisch Kühlung zu. In perfekter Ergonomie trabt er über den Feldweg. Und ich weiss, das ist sein Wesen. Stundenlang, kilometerweit könnte er so traben. „Bubeli“ wird zu Kenan. Zur „Flinken Lanze“, zum „kleinen Schmied“ der die Dinge neu gestaltet, zum „Wächter des Paradiestores“. Er wird zu dem Namen der Susanna geschenkt wurde, lange noch bevor wir überhaupt wussten, dass es diesen Hund gibt.
So traben wir im Gleichschritt und völligem Einklang über die Wege. Die Verwandlung findet langsam statt. Unsere Seelen lösen sich ab und vereinigen sich in der Ausserzeitlichkeit. Ich sehe mit seinen Augen und er mit den meinen. Wir riechen und fühlen dasselbe, wir sind verschmolzen, eins. Die Landschaft verändert sich zur grünen Steppe, oder ähnlich der Tundra. Am Horizont kahle Berge und sanfte Hügelzüge. Der Himmel grau und etwas düster. In der Ferne eine Herde Tiere. Rentiere? Sie fliehen nicht, denn wir hetzen und treiben nicht, wir jagen nicht. Wir folgen ihnen und sie wissen es. Gemeinsam gehen wir unsere Lebenswege über den Planet Erde. Wenn es Zeit wird und Nahrung beschafft werden muss, steigen die Gebete des Jägers gegen den Himmel und die Artenseele der Herde hört sie. Sie erbarmt sich ihrer Mitwesen. Zur rechten Zeit sondert sie ein Tier von der Herde ab als liebende Gabe. In diesem Moment ist das Tier bereits tot, seine teilinkarnierte Seele vereinigt sich wieder mit der Artenseele. Dann geht alles sehr schnell. Der Hund wird zum Wolf, greift das Tier an, springt an seine Kehle und reisst es zu Boden. Blitzschnell stösst der Jäger seine Waffe tief in das Herz des Tieres. Hormone werden ausgeschüttet, es spürt keinen Schmerz. Die Herde beruhigt sich wieder, flieht nicht. Denn es ist alles gut. Alles muss so sein.
Noch auf der Stelle werden Herz und Leber geteilt und gegessen. Warmes Blut. Lebenskraft. Opferrauch und Dank steigen auf. So war es immer. So ist es noch. Und so wird es immer sein. Es ist Tiefenzeit.
Flugzeuglärm bringt uns wieder ins Hier und Jetzt. Auch das ist gut so. Zufrieden kehren wir wieder zurück in Beton und Stadtlärm, mit der Gewissheit, dass dies nicht die einzige Wirklichkeit ist. Denn es ist Tiefenzeit.

